

100 Jahre Mobilität für Menschen
Im Gespräch mit Philipp Schulte-Noelle, CEO bei Ottobock SE & Co. KGaA
Ottobock SE & Co. KGaA
Tradition trifft Moderne: Seit 100 Jahren steht der Name Ottobock für qualitativ hochwertige und technologisch herausragende Produkte und Dienstleistungen in der Medizintechnik. Das 1919 gegründete Familienunternehmen mit seinem Hauptsitz in Duderstadt ist Weltmarktführer in der technischen Orthopädie und entwickelt Hightech-Produkte, um Menschen mit Handicap Mobilität zu ermöglichen – unter anderem mit Prothesen und Orthesen.
Welche Vision zeichnet das Unternehmen Ottobock aus?
Seit Otto Bock im Jahr 1919 das Unternehmen gegründet hat, stand immer der Mensch im Mittelpunkt des Handelns. Auch 100 Jahre später ist es immer noch unser Ziel, Menschen mit Handicap Mobilität zurückzugeben. Diese Vision prägt die Firmengeschichte und leitet bis heute zielorientiert die Entwicklung neuer Produkte. Mit unseren Innovationen möchten wir Anwendern neue Bewegungsfreiheit und Selbstständigkeit im Alltag ermöglichen – und damit maßgeblich zur Lebensqualität beitragen.
Was ist das Besondere an Ihren Produkten?
Unsere Prothesen, Orthesen und Rollstühle sind hochinnovative Produkte, die in relativ kleinen Serien in einer großen Variantenvielfalt hergestellt werden. Die Anforderungen an die Produktion sind deshalb besonders hoch. Wir verarbeiten und kombinieren unterschiedliche Materialien, z.B. Carbon, Silikon und Textilien, zu einem maßgeschneiderten Hilfsmittel. Und das natürlich nach höchsten Qualitätskriterien der Medizintechnik.
Als Technologieführer in der Branche setzen wir immer wieder Standards in der Versorgung von Menschen mit Handicap. Ein Beispiel ist das C-Leg, das wir 1997 auf den Markt gebracht haben. Das C-Leg war die weltweit erste Beinprothesenlösung, die komplett von einem Mikroprozessor gesteuert wurde. Ein weiterer exemplarischer Meilenstein in der Produktentwicklung ist die Ganzbeinorthese C-Brace, die jetzt in der zweiten Generation verfügbar ist. Mit dem C-Brace helfen wir Menschen mit inkompletter Querschnittlähmung wieder auf die Beine. Viele Patienten können dank der computer-gesteuerten Orthese auf ihren Rollstuhl verzichten.
Wie kommt Ottobock als Medizintechnikunternehmen dazu, Exoskelette für die Industrie zu entwickeln?
Wir forschen seit 2012 an innovativen Lösungen, mit denen sich Arbeitsplätze in Industrie, Logistik und Handwerk ergonomischer gestalten lassen. In Zusammenarbeit mit Volkswagen ist unser Exoskelett Paexo Shoulder entstanden. Denn in der Automobilindustrie – aber auch vielen anderen Branchen – belastet anstrengende Überkopfarbeit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Hier hilft unser Exoskelett, indem es die Last aus den Armen und Schultern auf die Hüfte umleitet. Als Medizintechnikunternehmen konnten wir bei der Entwicklung des neuartigen Produktes auf unsere 100-jährige biomechanische und orthopädische Expertise setzen.
Paexo Shoulder ist seit Oktober 2018 auf dem Markt und wird sehr gut angenommen. Ich bin überzeugt, das Exoskelette für den industriellen Einsatz viele Arbeitswelten nachhaltig verändern werden. Das Ziel ist, gesündere Arbeitsbedingungen zu schaffen.
An welchen weiteren Innovationen arbeitet Ottobock zurzeit?
Der Bereich „Forschung und Entwicklung“ ist der Zukunftsmotor von Ottobock. In unseren Entwicklungszentren, u.a. in Duderstadt und Wien, forschen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an intelligenten Lösungen für unterschiedliche Produktbereiche: Prothetik für obere und untere Extremitäten, Orthetik, Rollstühle und Exoskelette. Auch die Weiterentwicklung von Materialien, orthopädietechnischen Maschinen und Versorgungsprozessen sind wichtige Schwerpunkte.
Ein spannendes Beispiel ist die Entwicklung unserer neuen Prothesensteuerung Myo Plus, die dank künstlicher Intelligenz vom Menschen lernt. Damit kehren wir erstmals das Verhältnis zwischen Mensch und Prothese um. Früher musste der Mensch lernen, die Prothese zu bedienen. Dank Mustererkennung und ausgeklügelten Algorithmen lernt heute die Handprothese vom Menschen. Über Sensoren erkennt sie, welchen Handgriff er oder sie machen möchte und setzt diesen dann automatisch um. Die Bedienung ist so besonders komfortabel und intuitiv.
Bei jeder Innovation steht der Vorteil für den Menschen im Mittelpunkt. Dazu kommen Erfindergeist, der Mut, neue Wege zu gehen und die Bereitschaft, Zeit und Geld in auch langfristige Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu investieren – das sind die Garanten für unsere Vorreiterrolle in der technischen Orthopädie.
Niedersachsen ist für uns Heimat, dort schlägt das Herz von Ottobock. Wir sind in Duderstadt und Südniedersachsen verwurzelt. Die besondere Lage mitten in Deutschland bietet uns eine gute Ausgangsbasis für unternehmerisches Handeln – von hier aus gestalten wir unsere digitale Zukunft weltweit.
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Philipp Schulte-Noelle, CEO
Welche Bedeutung hat die Digitalisierung in Ihrem Unternehmen?
Der digitale Wandel läuft bei uns auf Hochtouren. Unser Ziel ist es, die Versorgung in der Orthopädietechnik mit digitalen Mitteln noch besser zu machen. In der Praxis funktioniert das dann so: Statt wie bisher mit Gipsabdrücken, erfassen die Orthopädietechnikfachkräfte die Maße von Anwenderin oder Anwender mit modernen Bodyscannern. Das wahrt die Intimität, spart Material und geht auch schneller. Basierend auf dem Modell und den individuellen Bedürfnissen des Menschen lässt sich anschließend am Computer eine Orthese oder Prothese maßschneidern. Das finale Design wird dann digital an die Produktionsmaschinen wie Fräsen, Fertigungsroboter oder 3D-Drucker übermittelt. Dieser Bereich heißt bei uns iFab, was für individuelle Fabrikation steht. Da Trockenzeiten und die manuelle Nachbearbeitung im iFab entfallen, hat die Fachkraft mehr Zeit, die Menschen individuell zu betreuen.

Wie sichern Sie bei Ottobock den Bedarf an Fachkräften?
Zukunftsthemen wie die Digitalisierung werden für Ottobock und andere Unternehmen immer wichtiger. Entsprechend groß ist auf dem internationalen Arbeitsmarkt der Bedarf an und damit auch der Wettbewerb um IT-Spezialisten, Software-Entwickler und andere Fachkräfte. Als Unternehmen bieten wir unseren Beschäftigten ein gutes Gesamtpaket an: Ottobock arbeitet an Hightech-Themen wie der intuitiven Steuerung von Prothesen, an künstlicher Intelligenz und Robotik. Dies eröffnet interessante Tätigkeitsfelder und vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten. Außerdem legen wir Wert auf mitarbeiter- und familienfreundliche Rahmenbedingungen. Dazu gehören unter anderem Maßnahmen zur Gesundheitsförderung sowie individuelle Teilzeit- und Homeoffice-Modelle. Nicht zuletzt steht Ottobock für die Möglichkeit einer sinnstiftenden Tätigkeit. Der direkte Nutzen für den Menschen – das, was wir mit „Quality for Life“ beschreiben – ist bei all unseren Produkten und Services spürbar. Unsere Arbeit kann das das Leben von Menschen positiv verändern. Das ist für viele ein ganz entscheidender Faktor.
Ottobock ist langjähriger Partner der Paralympics – wie genau unterstützen Sie die paralympischen Spiele?
Seit mehr als 30 Jahren unterstützt Ottobock aktiv die Paralympische Bewegung. Dieses Engagement ist längst zu einem festen Bestandteil unserer Unternehmensphilosophie geworden. Unser Ziel ist es, Menschen mit Handicap in den Mittelpunkt der Gesellschaft zu rücken und sie als großartige Sportler und Vorbilder dafür zu zeigen, dass Sport und Leistung Lebensmut zurückgeben können.
Als langjähriger Partner der Paralympics bieten wir unseren technischen Service seit den Spielen 1988 in Seoul an. Damals richteten vier Orthopädie-Techniker eine improvisierte Werkstatt ein, um die Athletinnen und Athleten vor Ort bei der Reparatur und Wartung ihrer Sportgeräte unterstützen zu können. 1992 bei den Paralympischen Spielen in Barcelona wurde der Service um eine mobile Werkstatt mit einem Team aus zehn Technikern aus fünf verschiedenen Ländern erweitert. Seitdem war Ottobock bei allen Paralympischen Sommer- und Winterspielen vertreten. In Rio 2016 war ein 100-köpfiges Team mehr als 14.500 Stunden im Einsatz und führte 2.408 Reparaturaufträge durch. Auch bei den kommenden Paralympics 2020 in Tokio werden sich die Athletinnen und Athleten aus aller Welt wieder auf unseren Service verlassen können.
2005 haben das International Paralympic Committee (IPC) und Ottobock ihre Zusammenarbeit vertraglich besiegelt. Seitdem sind wir auch offiziell Kooperationspartner der Paralympischen Bewegung. Vor diesem Hintergrund beteiligen wir uns aktiv und weltweit daran, die öffentliche Wahrnehmung der Paralympics als großartiges Sportereignis mit spannenden Wettkämpfen und inspirierenden Sportlern zu steigern.

Was zeichnet den Wirtschaftsstandort Niedersachsen für Sie bei Ottobock besonders aus?
Niedersachsen ist für uns Heimat, dort schlägt das Herz von Ottobock. Wir sind in Duderstadt und Südniedersachsen verwurzelt. Die besondere Lage mitten in Deutschland bietet uns eine gute Ausgangsbasis für unternehmerisches Handeln. Von hier aus gestalten wir unsere digitale Zukunft weltweit.
Während sich Ottobock im Laufe der Jahre immer internationaler aufgestellt hat, ist die Verbundenheit mit Duderstadt, die enge Zusammenarbeit mit unseren Partnern vor Ort, im Landkreis und auf Landesebene eine wichtige Konstante und zentrale Voraussetzung für den Erfolg des Unternehmens geblieben. Als aktiver Teil des Medizinclusters Göttingen engagiert sich Ottobock im Rahmen verschiedener Kooperationen und Forschungsprojekte – zum Beispiel mit der PFH Privaten Hochschule Göttingen, der HAWK (Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst) und der Universität Göttingen. Ottobock unterstützt und fördert den Dialog zwischen Politik und Wirtschaft, um aktuelle und drängende Themen – wie zum Beispiel den flächendeckenden 5G-Ausbau – gemeinsam voranzutreiben und Niedersachsen als innovativen Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort zu positionieren.
Wachsender Life Sciences-Standort
Ottobock SE & Co. KGaA

- Unternehmenssitz: Duderstadt
- Gründungsjahr: 1919
- Umsatz 2018: 927 Mio €
- Beschäftigte: mehr als 7.000
- Standorte: in 58 Ländern weltweit
- Geschäftsbereiche: Prothesen, Orthesen, Rollstühle und Exoskelette für den industriellen Einsatz sowie Patientenversorgung mit 130 eigenen Zentren